Allgäu FairNetzt Begegnungsräume

Wege in eine Gesellschaft der Verbundenheit - leichter als gedacht!

Einen konstruktiven Umgang mit kontroversen und konfliktreichen Themen zu ermöglichen, war das Ziel des Allgäu FairNetzt Workshops „Wege in eine Gesellschaft der Verbundenheit“ , der am 16.11.2024 in Kempten stattfand. Unter Leitung der Gesellschaftsentwickler und Transformationsbegleiter Lino Zeddies und Simon Mohn von reinventing society erlebten die Teilnehmenden einen prozessorientierten und abwechslungsreichen Tag, der vielfältige praktische Erfahrungsmöglichkeiten bot. 

Über die Methode der soziometrischen Aufstellungen zu grundlegenden Fragen wie  „Fühlst du dich in unserer Gesellschaft wohl?“, „Kannst du dein Potenzial leben?“ oder  „Blickst du optimistisch  in die Zukunft?“ ergab sich für alle zu Beginn des Seminars ein interessantes Bild der Gruppe, die sich an diesem Tag zum gemeinsamen Forschen zusammen gefunden hatte. Die meisten der Anwesenden zeigten sich angesichts der multiplen Krisen mit Blick auf die Zukunft eher besorgt, fühlen sich in der Gesellschaft eher unsicher und haben das Gefühl, ihr Potenzial nicht voll ausleben zu können. Dennoch gaben auch viele Personen an, sich in ihren nahen persönlichen Beziehungen (der „Blase“) wohl und zugehörig zu fühlen und dadurch nicht allzu sehr unter der als kritisch beurteilten Gesamtsituation zu leiden. Durch diese Abfrage stellte sich in der Gruppe an diesem Tag insgesamt schnell eher ein Gefühl von starken Gemeinsamkeiten und Zusammengehörigkeit als von Meinungsunterschieden ein.

Unangenehme Themen werden ausgeblendet

Nach einem theoretischen Input zu Grundlagen der Polyvagaltheorie – Wie reagiert das menschliche Nervensystem auf Stress? Wie wirkt sich stressbedingte neuronale Aktivierung auf unsere Denk- und Urteilsfähigkeit aus? Welche Möglichkeiten der Selbstregulation haben wir? – wurde nochmals soziometrisch abgefragt, welche gesellschaftlich kontroversen Themen die Gruppe im weiteren Verlauf beispielhaft näher betrachten wollte. Dabei zeigte sich deutlich, dass stark kontroverse Themen auf geringe Resonanz stießen und mehrheitlich eher abgelehnt wurden. Das Vermeidungsverhalten, das auch in der Gesellschaft bezüglich solcher Themen zu beobachten ist, wiederholte sich also auch hier im Seminarraum. Das Rennen macht bei der Themenwahl stattdessen die relativ neutrale Frage: „Ist deine politische Grundhaltung eher progressiv oder konservativ?“

Schneller Stimmungswechsel – die Spannung erleben

Nachdem sich die Teilnehmer zu dieser Frage im Raum positioniert hatten, wurden Stimmen eingesammelt, welche politischen Aussagen diese Grundhaltung widerspiegeln. Eine der ersten für die „konservative“ Position sprechende Person meldete sich dabei mit der Aussage „Ich bin nicht uneingeschränkt offen für alles und halte es eher mit dem Sprichwort ‚Wer zu offen ist, ist nicht ganz dicht'“. Diese Äußerung löste in der Gruppe sofort starke Unruhe und schnelle weitere Wortmeldungen von sowohl gegensätzlichen wie auch zustimmenden Meinungen aus. Die Stimmung wurde dadurch schnell angespannt, was sich auch in den Körperhaltungen der Sprechenden widerspiegelte, die sich in kämpferischer Haltung direkt einander zuwandten. Die übrigen Teilnehmer betrachteten die Konfrontation beunruhigt von der Seite und beschrieben Gefühle von Beklemmung, Lähmung und Angst. 

Deep Democracy – die Perspektive wechseln

An dieser Stelle luden die Seminarleiter die Teilnehmenden dazu ein, nun die eigene Position im Raum gezielt zu verändern und ganz bewusst auf die Seite des argumentativen Gegenübers zu wechseln. Sehr zur Überraschung der meisten stellten sich in dieser neuen Position dann jeweils ganz andere Gefühle und Gedanken ein, die die Position des Gegners plötzlich direkt erfahrbar machten und deutlich mehr Verständnis ermöglichten. Wohltuend dabei auch die ganz praktische Erfahrung, dass bewusste gesetzte Momente der Stille, tiefes Atmen, öffnende Armbewegungen, Schütteln und ähnliche körperliche Übungen sehr wirksam dabei helfen, Anspannungen auf emotionaler Ebene zu lösen. Diese Erfahrungen wurden anschließend im Austausch in Kleingruppen reflektiert und integriert. 

In die Tiefe gehen – eine korrigierende Erfahrung

In einem weiteren Durchlauf, in dem sich alle Teilnehmenden zunächst einmal mit Kissen und Decken möglichst gemütlich im Raum einrichteten, dabei nahe zusammenrückten und auch körperlich Kontakt aufnahmen, sofern sich das passend anfühlte, nahm das Gespräch, das inhaltlich an der selben Stelle fortgeführt wurde, einen völlig anderen Verlauf.  Alle Beteiligen hörten den verschiedenen Sprechenden höchst konzentriert und aufmerksam zu. Starkes Mitfühlen mit verschiedensten Positionen wurde spür- und sichtbar. Selbst stark kontroverse Positionen lösten in diesem Setting keine starke nervliche Anspannung aus, sondern konnten gemeinsam emotional gut gehalten werden. Diese Erfahrung erlebten die Teilnehmende als zutiefst berührend und verbindend. 

Blick aus der Zukunft

Zum Abschluss der gemeinsamen Forschungsreise formten die Menschen einen  Visionskreis, in dem aus einer Zukunftsperspektive beschrieben wurde, was eine verbundenen Gesellschaft, die dann bereits Realität wäre, ausmacht und wie sich das Leben in einer solchen Gesellschaft anfühlt. Diese Perspektive lies diese ideale, erträumte Möglichkeit lebendig und spürbar werden. Sie weckte bei den Teilnehmenden Freude und Optimismus: Menschen können einen kreativen, wohlwollenden und offenen Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit erlernen, sie können ihre Selbstregulationsfähigkeit stärken und ihr soziales Wesen nutzen, um gerade auch ein schwierigen Situationen in einer  Weise miteinander in Kontakt gehen, die das Nervensystem beruhigt. Mit diesem Wissen erscheinen die Wege in eine verbundene Gesellschaft gar nicht so weit.

(Text + Bild: Ina Schicker)

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